FLEISCH! Essen Sie noch FLEISCH?



„Fleisch! Essen Sie noch Fleisch?“ Die Frau schaut mich an.


Ich befinde mich auf einer Grillparty. Unsere Nachbarn haben uns zum Grillen eingeladen. Ich stehe am Grill und mein Nachbar hat mir ein schönes Steak auf den Teller gepackt. Ich wende mich ab und will gerade zu meinem Platz gehen. Vielleicht noch ein kleiner Abstecher zum Salatbuffet.



Aber da hält mich die Frau auf. Sie guckt auf meinen Teller und sagt nochmal – aber diesmal lauter: „Fleisch!“ Ich merke, dass Sie eine Antwort möchte. Ich halte eine Antwort aber für überflüssig. Wenn ich mir gerade ein Steak auf den Teller geben ließ, erübrigt sich doch die Antwort, auf die Frage, ob ich Fleisch esse, oder?


Was denkt sie denn, was ich mit dem Steak machen will? Auf die Glatze legen und warten, dass mir neue Haare wachsen?


Aber ich bleibe höflich und sage: „Ja, ab und zu esse ich gerne Fleisch. Vor allem beim Grillen.“ Sie rümpft die Nase und betrachtet mich, als
ob ich ein Hirschkäfer wäre, der irgendwo unter einem Stein hervorgekrochen ist.


Verächtlich und theatralisch seufzt sie.


Dann geht sie weiter. Ich höre, wie sie meinen Nachbarn fragt: „Was hast du Vegetarisches auf dem Grill?“


Dann gehe ich endlich zum Salat. Und da habe ich ihn auch schon. Da steht nämlich ein anderer Mann aus dem Dorf.


Ihn kenne ich. Er hat früher immer morgens vor der Metzgerei gewartet, um sich als Erster sein Fleischkäsebrötchen zu kaufen. Das hat er geliebt.


Vor kurzem hat er die Konfession gewechselt: Er isst jetzt nur noch vegan. Und dafür ist er jetzt der Prophet im Dorf.


Ich muss zugeben, dass ich mich konzentrieren muss, wenn ich diese neuen Glaubensrichtungen auseinanderhalten will.


Aber ich beobachte, dass die Vegetarierin sich von dem Veganer fernhält. Sie kommen nicht gut miteinander aus. Sie meint, dass er es übertreibt, und er meint, dass sie zu lasch ist.


Ich hole mir schnell ein bisschen Kartoffelsalat, bevor ich in eine Diskussion über Ernährung verwickelt werde. Ich möchte meinen Platz erreichen, bevor mein Fleisch kalt wird.


Ich stehle mich unauffällig davon, aber der Veganer hat mich bemerkt: „Wissen Sie, warum es nicht reicht, Vegetarier zu sein?“, fragt er mich.


Ich bin schon fast vorbei und denke: „Das habe ich einfach nicht gehört.“


Aber er will auch keine Antwort, er fährt fort: „Weil vegan der einzige Weg ist, sich gesund zu ernähren und auch für die Umwelt was zu tun.“


Ich verstehe das nicht, aber ich habe auch keine Lust auf eine Diskussion. Ich habe die Erfahrung gemacht: Es ist schwer mit Leuten zu diskutieren, die eine feste Meinung haben und sich nicht auf Argumente und Differenzierungen einlassen wollen.


Und oft erlebe ich auch wenig Toleranz. Mich erinnert das fatal an religiöse Fanatiker.


Es geht nur eben nicht mehr um evangelisch oder katholisch, jetzt geht es um „Fleisch“ oder „Nicht-Fleisch“, um „vegetarisch“ oder „vegan“.


Mich erinnern diese Essensdiskussionen an religiöse Fragen, die um das letzte Heil kreisen. Es geht immer ums Ganze. Es fällt schwer, einen
Schritt zurückzutreten.


Aber ich schaffe das und trete zurück. Zurück an meinen Platz. Ich setze mich und esse. Jetzt kommt die Frau vom Grill.


Sie hat einen Maiskolben auf dem Teller. Sie sieht mich an und sagt: „Sind Sie nicht Pfarrer?“ Ich nicke. Sie sagt: „Bald ist doch Erntedank. Und da essen Sie Fleisch?“ Ich stimme zu: „Ja, Erntedank feiern wird bald. Und ich danke Gott dafür, dass er uns hier in Deutschland genug zu essen schenkt.“


Dekan Dr. Paul Metzger


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